MR Übersetzungsliteratur
im dt. Frühhumanismus

MRFHMarburger Repertorium zur
Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus

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Tegernsee, Benediktinerabtei St. Quirinus

Mitte des 8. Jahrhunderts stifteten die vermutlich dem bayerischen Adelsgeschlecht der Huosi entstammenden Brüder Adalbert und Oatker eine Salvatorkirche mit zugehörigem Kloster an der unbewohnten Südostecke des Tegernsees. Das Kloster wurde unter der Führung Adalberts von Mönchen aus St. Gallen besiedelt, die die dortige Benediktinerregel einführten. Nachdem Adalberts Neffe Utto 804 den Leichnam des Hl. Quirinus nach Tegernsee brachte, entwickelte sich das Kloster schnell zu einem Wallfahrtsort.

Nachdem das Kloster 925 durch die Säkularisation Arnulfs I. große Verluste hinnehmen musste, erholte es sich unter dem Schutz Kaiser Ottos II. und kam durch umfangreiche Schenkungen und Stiftungen im 11. und 12. Jahrhundert zu neuer wirtschaftlicher und kultureller Blüte. Aus der berühmten Tegernseer Schreib- und Malschule stammen berühmte illuminierte Codices; an literarischen Werken entstand hier am Ende des 11. Jahrhunderts der 'Ruodlieb', der erste lateinische Versroman, der das "Idealbild des christlichen Ritters" gestaltet (BRAUN, S. 31 f.). Aus Tegernsee überliefert sind im 12. Jahrhundert das Drama 'Ludus der Anti-Christ' und die berühmte, über 300, meist fiktive Briefe enthaltene 'Tegernseer Briefsammlung'.

Im Zuge der Auseinandersetzung zwischen den Andechs-Meraniern, die die Vogteirechte über das Kloster ausübten, und den Wittelsbachern, wurde Tegernsee 1206 von Ludwig I. von Bayern verwüstet, Brandschäden folgten 1211 und 1214, die zweifellos zum Niedergang der alten Benediktinerabtei mitbeitrugen. Erst die Reformierung nach dem Vorbild von Melk, die der Abt Kaspar Ayndorffer (1426-1461) einleitete, führte die Abtei wieder zu neuer Blüte; besonders die Bibliothek wurde unter seiner Leitung erheblich gefördert und erweitert.

Für die Tegernseer Bibliothek legte Ambrosius Schwerzenbeck 1483/84 einen Bibliothekskatalog an, in dem 1103 Werke verzeichnet wurden. Der Humanismus konnte erst allmählich (und eher von außen) Einzug ins Kloster halten, indem studierte Novizen ihre an der Universität erworbenen Kenntnisse und Interessen mit nach Tegernsee brachten. Hinzu trat in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein zunehmend intensivierer Austausch von Handschriften und bald auch gedruckten Büchern mit Italien über den Augsburger Buchhändler Matthäus Neukum ein. So gewannen auch "Petrarca und Boccaccio ihre Verehrer und Terenz, Ovid, Catull und die Klassiker fanden wieder mehr Leser" (Redlich, S. 129). Das Kloster erwarb auch eine Ausgabe von Hartmann Schedels 'Weltchronik' in der deutschen Übersetzung Georg Alts und gleich mehrere Drucke der dt.-lat. Reimpaarübersetzung 'De quattuor virtutibus cardinalibus', die im 15./16. Jahrhundert noch Seneca zugeschrieben wurde. Daneben kam Tegernsee durch die Bücherschekungen von Johannes Leytner auch in den Besitz von Heinrich Steinhöwels 'Spiegel menschlichen Lebens'.

Als 1803 das Kloster Tegernsee säkularisiert wurde, beherbergte die Bibliothek mehr als 60.000 Bände, darunter auch 4.000 Inkunabeln und 2.000 Handschriften. Die von Johann Christoph von Aretin geleitete Klosterbibliothekskommission sicherte den wertvollsten Bestand für die Bayerische Hofbibliothek, während ein Großteil der Sammlung in alle Winde zerstreut oder makuliert wurde.

Verf.: js / cbk.

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Literatur:

Bauer, H. / Bauer, A.: Klöster in Bayern. Eine Kunst- und Kulturgeschichte. München 1985, S. 68-71.
Buek, W. v.: Geschichte der Klosterbibliothek und Klosterdruckerei des ehem. gefürsteten Benediktinerstiftes Tegernsee. In: Alt-Tegernsee 12-14 u. 17f.(1931).
Geiger, S.: Kloster Tegernsee. Ein Kulturbild (Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 15). München 1936, insb. S. 126-136.
Hartig, M.: Die Benediktinerabtei Tegernsee 746-1803. Kurzer Überblick über ihre Geschichte und ihre Verdienste um Wissenschaft und Kunst zur Zwölfhundert-Jahrfeier vom 15. bis 22. September 1946. München 1946.
Hemmerle, J.: Die Benediktinerklöster in Bayern (Germania Benedictina 2). Augsburg 1970, S. 297-304.
Herzöge und Heilige. Das Geschlecht der Andechs-Meranier im europäischen Hochmittelalter, hg. v. J. Kirmeyer u. E. Brockhoff mit einem Beitrag von A. Schütz (Veröfftl. zur Bayer. Gesch. u. Kultur 24/93), München 1993, , insb. S. 112ff. (m. Abb.).
Lindner, P.: Familia S. Quirini in Tegernsee. Die Äbte und Mönche der Bendiktiner-Abtei Tegernsee von den ältesten Zeiten bis zu ihrem Aussterben (1861) und ihr literarischer Nachlass. In: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 50 (1897), S. 18-130 u. Ergänzungsheft.
MBK = Ruf, P.: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Hg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München. 4 Bde. München 1918-1979, IV, 2, S. 734-863.
Redlich, V.: Tegernsee und die deutsche Geistesgeschichte im 15. Jahrhundert (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 9). München 1931.

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Tegernsee um 1619, Kupferstich von Carl Stengel. Quelle: Lampel, S.: Die Klosterkirche Tegernsee. Maßanalytische Untersuchungen zum Bestand, zur Baugeschichte und zur Funktion. In: Oberbayerisches Archiv 100 (1975), S. 5-141, Abb. 3.

Version vom 30. 08. 2012 (MRFH). Permanent Link: mrfh.de/2590.